Es sind 32 Grad, und meine Kinder und ich haben schon einige Stunden Hitze hinter uns. Die Sonne steht hoch am Himmel und wir haben den größten Teil des Tages damit verbracht, uns möglichst effizient zu bewegen, immer auf der Suche nach dem nächsten Schatten. Jetzt, um 16 Uhr, stehe ich verschwitzt und ein wenig erschöpft in einem Zelt der Caritas Werkstätten für Menschen mit Behinderung (WfbM) in Köln. Es ist der „Tag der Begegnung“ des LVR – ein herrlich sonniger Samstag am Rhein, direkt am Kennedyufer.
Mitten in diesem Zelt erfreuen sich meine Kinder am Glücksrad der Young Caritas, jubeln über Brausetüten und genießen – trotz der Hitze – ihre Waffeln. Während sie ausgelassen toben, schaue ich mich um, versuche ein paar Gespräche aus der Ferne aufzuschnappen und mir einen Überblick über die aktuellen Themen zu verschaffen.
Der Tag ist geprägt von guter Laune und Freundlichkeit. Es wird gelacht, man hat Spaß. Man achtet aufeinander. Die Caritas-Mitarbeiter und die Mitarbeiter vor Ort unterhalten sich fröhlich mit den Gästen. Alles Kuschelgespräche. Alles scheint gut. In mir rumort es.
Eine kleine Exkursion:
Unsere Tochter steht kurz vor dem Übertritt in die 3. Klasse einer Regelschule, sie erreicht nicht die üblichen Ziele der Regelschulkinder, aber ihre Schule erlaubt ihr, ihr eigenes Lerntempo und ihre eigenen Lernziele zu verfolgen. Das macht uns sehr glücklich. Sie kann schon ihren Namen schreiben, einige Wörter sinnerfassend lesen usw.
Allerdings mussten wir hart kämpfen, um diesen Punkt zu erreichen. Laut Plan hätte unsere Tochter aufgrund ihres Förderschwerpunktes „Geistige Entwicklung“ eine Förderschule besuchen sollen. Und während Kinder in Förderschulen zweifellos glücklich sind und gerne zur Schule gehen, haben wir von vielen Eltern erfahren, dass grundlegende Fähigkeiten wie Lesen, Schreiben und Rechnen oft vernachlässigt werden. Kinder, die diese Fähigkeiten dennoch erwerben, verdanken dies oft dem Engagement ihrer Eltern und nicht der Schule selbst. Jetzt stehen wir vor dem nächsten Übergang in eine weiterführende Schule und müssen wieder darum kämpfen, dass sie an einer Regelschule den Unterricht besuchen darf.
Ich wünsche mir für meine Kinder, dass sie so selbstständig wie möglich leben und ihre eigenen Entscheidungen treffen können. Ich möchte ihnen so viel wie möglich beibringen und ihnen die Möglichkeit geben, alles auszuprobieren, was sie wollen. Aber genau dieses Bild vermittelt die Förderschule meiner Meinung nach nicht. Vielmehr scheint sie immer noch eine Einbahnstraße zu sein: Schulabschluss, Werkstatt für behinderte Menschen, Frühverrentung. So ist es auch in verschiedenen Studien zu lesen (siehe auch „Der Übergang Schule-Beruf von Schüler*innen des Förderschwerpunkts Geistige Entwicklung“ in Teilhabe 2/2023 die Fachzeitschrift der Lebenshilfe).
Ich bin davon überzeugt, dass meine Kinder das Recht haben sollten, ihr Bestes zu geben und zu versuchen, so wie ich es getan habe. Und wenn sie scheitern, ist das auch in Ordnung. Aber man muss ihnen zumindest das Recht zugestehen, es zu versuchen.
Berufsorientierende Praktika sind auch in Förderschulen üblich, werden aber meist von den Lehrern vermittelt, ohne dass die Wünsche der Schüler berücksichtigt werden. Zahlreiche der oben genannten Studien bestätigen dies. Meist bestimmen die Kontakte der Lehrer und nicht die Interessen der Schüler den Praktikumsplatz. Ähnlich verhält es sich beim Übergang von der Schule in den Beruf. Der Weg führt entweder direkt in die Arbeitslosigkeit oder in eine Werkstatt für behinderte Menschen. Nur eine Minderheit erhält eine Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.
Ein weiteres Problem ist, dass Förderschüler oft nicht über ihre Möglichkeiten informiert sind. Auch hier machen die Eltern den Unterschied. Auch wenn es mein Versprechen ist, immer für das Beste meiner Tochter zu kämpfen und sie über alle Chancen und Möglichkeiten aufzuklären, sollte es nicht an den Eltern liegen, ob sie beruflich erfolgreich sind. Das ist eine Diskussion, die wir in der Gesellschaft auch in anderen Bereichen führen.
Wenn ich jetzt in diesem Zelt stehe, umgeben von positiver Stimmung und fröhlichen Menschen, frage ich mich: Liege ich falsch? Sind meine Erwartungen zu hoch? Sind meine Ansprüche zu hoch?
Auf der Rückfahrt diskutieren wir im Auto.
„Glücklich ist, wer nicht weiß, was er verpasst“, ist mein erster Gedanke am nächsten Morgen. Aber die Menschen im Unklaren zu lassen, um das System nicht zu verändern, kann nicht der richtige Weg sein. Die Artikel 26 und 27 der UN-Behindertenrechtskonvention sprechen eine klare Sprache: Wir müssen diese Parallelgesellschaft aufbrechen.
Deshalb verspreche ich meinen Kindern, vor allem meiner Tochter, dass wir nie aufgeben und immer für ihre Rechte kämpfen werden, bis sie es selbst können.
Dieser Prozess des Hinterfragens und Überprüfens, ob wir auf dem richtigen Weg sind, ist unerlässlich. Es ist nicht nur wichtig, sondern notwendig, uns selbst zu prüfen und zu fragen: Tun wir das Richtige? Werden wir den Bedürfnissen und Träumen unserer Kinder gerecht?
Mit diesen Gedanken und inneren Kämpfen, die ich hier offenlege, möchte ich anderen Mut machen, ihre Situation ebenfalls zu hinterfragen und gegebenenfalls aktiv Veränderungen anzustoßen. Es ist kein leichter Weg und oft mit Zweifeln und Herausforderungen gepflastert. Aber gerade deshalb ist es umso wichtiger, eine Gemeinschaft zu haben, die sich gegenseitig stärkt und unterstützt.
Ich habe das Glück, Teil einer solchen Gemeinschaft zu sein. Und an diesem „Tag der Begegnung“ sind viele von uns zusammengekommen, um Erfahrungen auszutauschen, sich gegenseitig zu unterstützen und den Zusammenhalt zu stärken. Diesen Eindruck, dieses Gemeinschaftsgefühl nehme ich von diesem Tag mit.
Deshalb möchte ich diese Erfahrung teilen, in der Hoffnung, dass sie andere ermutigt, weiterzukämpfen, weiter Fragen zu stellen und weiter nach Verbesserungen und Möglichkeiten zu suchen. Denn es sind diese Anstrengungen, dieses ständige Streben nach Verbesserung und Gerechtigkeit, die wirkliche Veränderungen bewirken können. Und es sind diese Veränderungen, die letztendlich einen Unterschied im Leben unserer Kinder machen werden.
Christiane Werner meint
Wir haben auch den Tag in dieser Gemeinschaft verbracht.
Ich sehe genauso, wieviel wir als Eltern gefragt sind, Entscheidungen für unsere Kinder mit Behinderung zu treffen, die neurotypische Kinder einfach komplett selbst übernehmen, ab einem gewissen Alter.
Welche Schule, Hobbies, wen treffe ich privat?! Wo mache ich mein Praktikum?
Wieviel und welche Informationen gebe ich meinem Kind?
Und ja, die Erfahrung habe ich letztens auch gemacht. Wir als Eltern kriegen von der Förderschule Möglichkeiten nicht mitgeteilt.
Da ist der Austausch mit anderen Eltern und anderen wichtig, um neue Wege zu gehen.
Wenn ich einen Schulpraktikumsplatz für meine Tochter auf dem freien Arbeitsmarkt möchte bzw. sie möchte das! Kann ich den besorgen, zur Lehrerin gehen und sagen: Meine Tochter macht ihr Praktikum bei…So wurde es mir beim Kokobe erklärt.
Ich werde das im Herbst so machen. Es sei denn, meine Tochter äußert bis dahin einen anderen Wunsch.
Es ist tatsächlich eine Gradwanderung, da die Entscheidungen, die ich für sie treffe, einfach aus ganz viel Beobachtung entstehen oder durch kleine Gespräche, Entzückensausrufe oder ein: ne, kein Bock.
Das alles sammel ich und denke: Das macht ihr Freude, darin ist sie gut.
Und ja, wir werden sichtbar bleiben weiter Fragen stellen.