Am kommenden Dienstag findet im Ausschuss Arbeit und Soziales des Bundestages eine wichtige Debatte statt. Es geht um den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts. Die geplanten Änderungen, wie die Verbesserung des betrieblichen Eingliederungsmanagements, die Erhöhung der Ausgleichsabgabe für Unternehmen, die nicht genügend Schwerbehinderte beschäftigen, und die Stärkung der Inklusionsbeauftragten in den Betrieben, sind lobenswerte Maßnahmen. Sie sollen den Zugang zum Arbeitsmarkt für Menschen mit Schwerbehinderungen erleichtern und ihre Integration in den Arbeitsalltag fördern.
Doch während der ersten Diskussion am 02.03.2023 im Bundestag wurden zahlreiche Erfolgsgeschichten von Menschen mit Schwerbehinderungen erzählt. Dabei fiel auf, dass der Fokus der Debatte hauptsächlich auf Menschen mit körperlichen Behinderungen lag. Takis Mehmet Ali von der SPD betonte beispielsweise, dass 55% der heute arbeitslos gemeldeten Menschen mit Schwerbehinderung entweder einen Berufs- oder Hochschulabschluss haben. Doch diese Statistik lässt eine große Gruppe von Menschen mit Schwerbehinderungen außer Acht: Menschen mit kognitiven Einschränkungen, sowie mit geistigen Behinderungen.
Die aktuelle Bildungssituation in Deutschland entspricht nicht den Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die eine gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen an Bildung fordert. Kinder mit kognitiven Einschränkungen oder geistiger Behinderung werden häufig auf Förderschulen oder Sonderschulen geschickt und verlassen diese nach der Pflichtschulzeit meist ohne Abschluss. Damit werden sie von Anfang an von einer gleichberechtigten Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen.
Die politische Debatte muss sich stärker auf die Bedürfnisse und Potenziale von Menschen mit kognitiven Einschränkungen konzentrieren. Es ist notwendig, die Barrieren im Bildungssystem abzubauen, um diesen Menschen eine faire Chance auf Bildung und Arbeit zu ermöglichen. Dazu gehören inklusive Bildungsansätze, alternative Bildungswege und spezifische Unterstützungsmaßnahmen, die den individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten dieser Menschen gerecht werden.
Die aufgeführten geplanten Gesetzesänderungen sind gut und richtige Schritte, geben Sie jedoch auch den Folgeauftrag an die weiteren Ausschüsse und in Sachen Bildungspolitik spielt das Gesetz den Ball an die Länder weiter? Hier besteht dringender denn je Handlungsbedarf.
Es ist an der Zeit, dass die Bundespolitik und alle im Bundestag sitzenden Politikerinnen und Politiker sich dieser Herausforderung stellen. Die geplanten Gesetzesänderungen zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts sind ein Schritt in die richtige Richtung, doch sie dürfen nicht die Menschen mit kognitiven Einschränkungen vergessen. Eine inklusive Gesellschaft kann nur erreicht werden, wenn alle Menschen mit Schwerbehinderungen berücksichtigt werden – unabhängig von der Art ihrer Behinderung.
Lasst uns gemeinsam für eine inklusivere und gerechtere Gesellschaft eintreten, in der jeder Mensch die Chance hat, sein volles Potenzial auszuschöpfen. Teilt gerne diesen Beitrag, damit allen bewusst wird, Behinderung ist nicht gleich Behinderung und der Fortschritt auf der einen Seite bedarf auch den Fortschritt auf der anderen Seite.
Christiane Werner meint
Hallo, meine Tochter mit t21 geht zur Förderschule. Ich hatte die Hoffnung sie wird ihrer Behinderung entsprechend gefördert, wir als Eltern haben Unterstützung und sie findet Freunde. Nichts von dem ist eingetroffen. Wir leisten alles privat. Sie geht jetzt noch drei Jahre zur Schule und macht ihr Praktikum voraussichtlich in einem Kindergarten. Beim Elternsprechtag wurde mir gesagt: Nur über die Werkstatt hätte sie die Möglichkeit auf einen inklusiven Arbeitsplatz! Sie macht da eine Ausbildung. Ich musste wirklich laut lachen, daß ist zwar nicht nett aber ich hielt es für angebracht.
Meine Tochter kann einen wertvollen Beitrag in ihrem Rahmen zu einer schönen inklusiven Welt beitragen. Sie ist freundlich, geschickt, hilfsbereit, schlau und kreativ. Je älter sie wird, desto mehr steht sie am Rande der Gesellschaft und überall wird mir gesagt, sie will das so und sie braucht Sicherheit und Rituale! Wie kann da eine Schule fördern was macht es mit meinem Kind jedes Jahr 3 neue Lehrer zu bekommen und neue Klassenkamerad..innen!? Ich bringe meiner Tochter lesen und rechnen bei. Die Lehrer haben dafür keine Zeit.
So sieht es gerade aus. Wir sind sehr alleine damit. Die sehr engagierten Eltern haben viel jüngere Kinder, die hoffentlich junge Lehrer bekommen, die einen anderen Anspruch an ihre Arbeit mit Kindern mit Behinderung haben. Viele Eltern mit etwas älteren Kindern sind sehr sehr traurig und haben sich mit dem abfinden müssen.
Ich möchte das nicht.
Viele Grüße Christiane Werner
Tobias Sinzig meint
Liebe Christiane,
vielen Dank für Deinen offenen und ehrlichen Kommentar. Es ist traurig zu hören, dass Deine Hoffnungen und Erwartungen nicht erfüllt wurden und Du Dich alleine fühlst. Deine Erfahrungen zeigen, dass wir noch einen langen Weg vor uns haben, um eine wirklich inklusive Gesellschaft zu schaffen.
Ich kann Dein Empfinden, allein zu sein mit der Thematik, absolut nachempfinden. Das Gefühl der Ohnmacht ist mir, ist uns als Familie auch immer wieder sehr präsent. Es soll keine Floskel sein, wenn ich sage, ihr seid nicht alleine. Für den Nordkreis ist die Community noch stark auszubauen, aber es gibt sie. Gemeinsam müssen wir für unsere Themen ein- und auftreten. Genau aus dieser Community, aus den Rückmeldungen, aus den Erfolgen und Niederlagen der Anderen ziehe ich meine Motivation mich für unsere Kinder und gegen diese Empfehlungen von den „Experten“ und den Aussagen „das war schon immer so“, oder „es gibt keinen Rechtsanspruch“ nicht nur zu wehren, sondern es eben doch zu ermöglichen und mein Traum wäre es, dann den Rechtsanspruch zu schaffen.
Eine der wichtigsten Maßnahmen ist es, die Trennung von Regel- und Förderschulen abzuschaffen oder zumindest grundlegend so zu reformieren, sodass alle Schülerinnen und Schüler die gleichen Chancen auf Bildung und auf Abschlüsse erhalten.
Darüber hinaus müssen wir uns dafür einsetzen, dass inklusive Arbeitsplätze außerhalb der WFBM geschaffen und gefördert werden.
Deine Tochter hat zweifellos viele wertvolle Fähigkeiten und Talente, die sie einbringen kann, und es ist unsere gemeinsame Aufgabe, sicherzustellen, dass sie die Möglichkeit erhält, diese auch in der Arbeitswelt zu nutzen.
Nochmals vielen Dank für Deinen Beitrag. Lass uns gemeinsam daran arbeiten, dass sich die Situation verbessert und niemand zurückgelassen wird.
Herzliche Grüße!
Tobias
Christiane Werner meint
Lieber Tobias,
danke, für diese schöne Antwort.
Wir sind auf jeden Fall dabei. Und es ist gut zu hören, daß wir nicht allein sind.
Ich finde es ganz wichtig, sich auszutauschen, Erfahrungen zu teilen.
Viele Grüße
Christiane